Und wen wählst Du?

- Darf man das eigentlich fragen? Sollte man? Und vor allem: Will man?

Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg.

„Weißt Du, was Deine Eltern wählen?“
„Weißt Du, was Deine beste Freundin aus der Schulzeit, die Du seit dem Abi nicht gesehen hast, wählt?“
„Weißt Du, für welche Partei sich Dein Cousin entscheidet, mit dem Du früher immer im Sandkasten gespielt und dich mit Erde beschmiert hast?“
Und die Antwort ist: 
„Mit denen kann man ja sowieso nicht diskutieren“
„Ganz ehrlich? Mit solchen Menschen will ich mich nicht abgeben.“
„Alles Nazis! – Nazis raus!“
„Wir haben da so eine Regel, dass wir auf Familienfeiern nicht mehr über Politik diskutieren. Ist meiner Mama total wichtig.“
„Ich weiß es nicht.“
„Geht mich das was an?“

„Ist nicht meine Verantwortung!“

Verantwortlichkeit ist eine Frage der Identität. Doch ist es nicht so, dass wir immer nur und wirklich maximal die Verantwortung für uns selbst tragen wollen. Und das allein überfordert ja manchmal schon.

Aber: Verpflichtet Familie? Herkunft? Geschichte? Heimat? Identität?
Also: Sind wir für sie verantwortlich?

Mit Pflichten haben wir es in unserer modernen Gesellschaft ja ohnehin nicht so, scheint mir. Wir müssen dazu gezwungen werden, wenn wir tot sind anderen Menschen das Leben zu retten. Wollen partout nicht auf unsere Plastiktüten verzichten, obwohl wir uns damit selbst die Kehle zuschnüren. 
Also sage ich: Familie, Herkunft, Geschichte, Heimat, Identität ist keine Pflicht, dafür aber ein Privileg, eine Möglichkeit, ein Ansatzpunkt, ein Sprachrohr. 
Eine gemeinsame Ebene. Aus dieser gefühlten Machtlosigkeit und Untätigkeit herauszubrechen, Dir Gehör zu verschaffen.
Influencer, Menschen mit Reichweite, Stars – wir verpflichten sie im Geiste dazu, Gutes zu tun, ihre Stimme zu nutzen! „Mach doch mal etwas Sinnvolles mit Deiner Reichweite!“, denkst Du Dir, als sie den 3748. Lippenstift in die Kamera hält, während Du es dir das 3748. mal ansiehst und seit 4 Monaten nicht mit Deinem Vater geredet hast, seit er diese ausländerfeindliche, rassisstische Kackscheiße geschickt in einen Nebensatz eingebaut hatte. „Mach doch mal etwas Sinnvolles mit Deiner Reichweite!“, sage ich. Nutze Deine Stimme! Ruf ihn an. Er wird Dir zuhören. Weil er das schon immer tut. Weil Du die richtige Frequenz hast, Reichweite, Nähe, – verschaff Dir und Deiner Überzeugung Gehör. Schaff Nähe! Schafft wieder Nähe! Das brauchen wir. 
Denn Du bist vielleicht der einzige, dem er zuhört. Wirklich zuhört.
Und er wird antworten.
Das kann weh tun. Es kann verdammt unangenehm sein. Anstrengend. Nervenaufreibend. Herausfordernd.
Wichtig! 
Zuhörern und Mund aufmachen. Aufeinander zugehen und Kontra geben. 
Es ist nicht einfach, den richtigen Ton zu finden oder die richtigen Fragen zu stellen, wenn Eure Antworten so unterschiedlich sind –
Was ist Wahrheit?
Was ist Deine Wahrheit?
Für wen setzt Du Dein Kreuz?
Wieso? 
Wieso nicht? 
Aus einer gemeinsamen Wellenlänge kann ziemlich schnell ein Unwetter werden. Die Vorstellung, die man von seinem Gegenüber hat, kann ins Wanken geraten. Enttäuschung macht sich so schnell breit, wird zu Wut wird zu Scham. Unverständnis überschattet und treibt auseinander. 
Aber dieses unsichtbare Band darf nicht reißen. 
Wir dürfen den Kontakt nicht verlieren. Zueinander. Zum Boden. Zur Menschlichkeit. 
Hauptsache wir hören nicht auf einander zuzuhören, zu hinterfragen, kritisch und sanft zugleich.

 
„Mein Onkel hat kein Instagram, der hat Angst“
Ich hatte überlegt Euch dazu aufzurufen, Bilder mit weit geöffneten Mündern zu Posten, #ichmachdenMundauf zu verbreiten und online Wellen zu schlagen, aber: „Mein Opa hat kein Instagram, der hat Angst!“ 
Hashtags und Co. – würde doch bedeuten, dass wir uns einmal mehr gegenseitig auf die Schulter klopfen. Angezeigt werden die Bilder dem, der sie sehen will. Es ist gut, einander Mut zu machen, sich zu solidarisieren und anzuerkennen, dass es „im Osten nicht nur Nazis“ gibt. Aber jetzt, so kurz vor der Wahl, geht es darum: aktiv zu werden. Die eigene Blase zu verlassen und mit den Menschen zu sprechen, die anders denken. Fakten, Emotionen, Erfahrungen, Wissen, Enttäuschungen, Ängste und Träume auszutauschen. Mit anderen Generationen, anderen Gruppen, anderen Menschen! 
Sich den Protest anzuhören. 
Die Sorgen anzuerkennen.
Die Last abzunehmen.
Und wirkliche Alternativen aufzuzeigen.

Einfacher als gesagt?

Definitiv!

Wie das konkret funktionieren kann? Ich habe Euch einiges an Infomaterial herausgesucht:

Text: Luise Morgeneyer

Illustration: Tatjana Junker