Und wen wählst Du?

- Darf man das eigentlich fragen? Sollte man? Und vor allem: Will man?

Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg.

Sachsen. Zuhause. Das hieß für mich irgendwie immer: Schwatzen. Ein Schwätzchen über den Gartenzaun. Ein freundliches „Hallo!“ einfach so. Die Verkäuferin beim Bäcker erzählt mir von ihrem Sohn und dem letzten Urlaub. Doch seit ein paar Jahren, jetzt da die Berichterstattung über mein Heimatbundesland und die Rufe auf dem Altmarkt immer lauter wurden, sind alle dazwischen irgendwie verstummt. Schweigsam. Zurückhaltend. Man nickt sich jetzt zu. Oder brüllt sich an. Ein Dazwischen – scheint mir – das gibt es nicht mehr. Wahlen sind allgemein, unmittelbar, gleich, frei und geheim.

Geheim. Und das ist verdammt gut so!

Aber wieso ist alles davor eigentlich auch so eine Geheimnistuerei geworden? Wann haben wir eigentlich aufgehört miteinander zu reden?

– Als mein Onkel der AfD beigetreten ist. Als ihr Opa genickt hat, als ein Beitrag der Tagesschau Höckes Hetze wiedergab. Als ihr Freund sie vor Geflüchteten warnte. Als die Schwester eines Bekannten ein Video der AfD Ortsversammlung auf Instagram gepostet hat. Als mir ein Freund ans Herz legte, den Hashtag #refugeesarewelcomehere doch besser nicht zu verwenden. „Was stimmt mit meiner Familie nicht?“, fragt sie mich unter Tränen. Ich darf niemandem erzählen, dass ihre Eltern und Geschwister jeden Montag durch Dresden spazieren und rufen. Sie versinkt im Erdboden und ich nehme sie in den Arm. Aber statt darüber zu sprechen, sind wir permanent damit beschäftigt uns irgendwie zu verteidigen. Die Mauern, die unser Zuhause sind, irgendwie bunter aussehen zu lassen, als sie sind. Weil die Realität wehtut und wir plötzlich nicht mehr wissen, wo wir hingehören.

Also: Wir gehen Konfrontationen aus dem Weg. „Pegida läuft noch, ja – aber interessiert ja keinen!“
Und dann tanzen die einen auf der Tolerade und die anderen zu … und das fühlt sich dann an wie eine Großraumdisko – in der wir uns gegenseitig das Bier weg kaufen, übereinander lachen und lachen und lachen. Bis wir schreien. Und uns doch immer wieder nur im selben Kreis drehen.
„Wir reden heute einfach mal nicht über Politik“, sagt sie und schaufelt mir noch eine Kelle Bohneneintopf auf den Teller. „Ich will heute nicht streiten.“

Keiner will mehr streiten.

Es scheint mir, als wolle niemand die Verantwortung übernehmen.

Ich sehe keinen Diskurs.

Oder ist der einfach zu leise?

Höre ich nicht mehr aufmerksam genug hin – weil die Stimmen hier so viel lauter und schriller sind? Denn ich wohne jetzt in Berlin: und wir diskutieren alles. Nehmen kein Blatt vor den Mund – wie war Euer erstes Mal? Geschlächtskrankheiten. Verrückte Stellungen. Menstruation und Trump. Ehebrüche. Wir lästern über das Leben und analysieren im Anschluss die Krim-Kriese. Du empfiehlst mir Podcasts und wir wissen, wann und wie und mit wem Ines Anioli Sex hat. Gesundheit und Krankheit. Single und Vergeben. Freitag Nacht wie Montag morgen. Wir sind füreinander da. Wir hören einander zu. Immer. Jedes dreckige Detail. Und wir sind so weltoffen, dass uns nichts mehr schocken kann. Polyamorie ist ´was für Anfänger. Und sie erzählt mir und 350 000 anderen von ihren Darmproblemen.

Alles kein Problem. Wir reden darüber. Es gibt keine Tabus mehr. Sagen wir. Fordern wir. 
Jeder Körper ist schön und jedes Körperteil halten wir bereitwillig in die Kamera. Weil wir darüber reden müssen.

Und das müssen wir. Das müssen wir! Und noch mehr!

Also: Was wählst Du?

Und die Frage muss nicht im großen Stil beantwortet werden. Vor keinem Publikum. 
Aber im kleinen. 
Und aus dem Herzen. Mit der ausreichenden Portion an Informationen.


Also: Was wählst Du? Und weißt Du, was Deine Eltern wählen?