Am 1. September sind Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg.
Wir sitzen in der U-Bahn Richtung Neuköln und sind gut drauf. Ein Bier in der Hand und ein Lachen auf dem Gesicht. Es ist 23:30 Uhr und wir sind auf dem Weg in eine Bar. Ein paar unbekannte Gesichter in der Runde, wir stellen uns vor und erzählen, was wir so machen und tun und wer wir gern sein würden. Und dann kommt die Frage auf, wo wir herkommen. Weil man das eben fragt in Berlin. Einer kommt aus Bayern, ist aber in Peru aufgewachsen und hat letztes Jahr in Madrid gelebt. Das klingt spannend. Ich würde gern mehr darüber erfahren. Aber: „Ich komme aus einem kleinen Ort bei Dresden.“ und das scheint viel spannender zu sein. Wie immer der gleiche Gesichtsausdruck: die Augen werden übertrieben groß aufgerissen, ein peinlich berührtes Lächeln auf den Lippen und dieser wissende Blick: „Ist ja schon krass, was da bei Euch abgeht, oder?“ Ich lebe seit zwei Jahren nicht mehr in Sachsen, trotzdem fühlt sich dieses euch nach uns an. Das sind meine Wurzeln, mein Zuhause. Viel zu oft und zu lange habe ich mit kalten Füßen auf den Straßen der Stadt gestanden und Farbe bekannt, als das ich jetzt etwas gegen dieses euch einwenden würde. Aber wir ist nicht immer gleich alle und wer ist und wieso eigentlich ihr? Wir sprechen lange, ich erzähle viel, erinnere mich. Wir sitzen da also in dieser Bar. Das drittes Bier in der Hand und wir reden darüber, wie schlimm es doch ist und wie sehr wir dagegen sind. Irgendwann sagt er:
„Ganz ehrlich, voll gut, dass Du das alles machst und Dich engagierst und so – aber ich will mit diesen Menschen gar nicht reden! Die sollen bleiben wo der Pfeffer wächst – wer so denkt, den kann man ohnehin nicht umstimmen und weißt Du was, ich rede nicht mit Nazis, basta! Ich war noch nie im Osten und hab da auch gar keinen Bock drauf – sorry!“
Sorry. Ich schlucke. Ich horche nach. Ich denke an all die wundervollen Menschen Zuhause. An die Krönertstraße 22, in Freital. Ich denke an den ersten Montag, an dem Deutschlandflaggen durch die Straßen zogen und Parolen lauter wurden als das Leuten der Frauenkirche. Gänsehaut und Einzug in den Kampf, den wir nur gemeinsam gewinnen können. Jeden Montag. Laut. Und Intensiv. Scham. Angst. Angst. Angst. Aber wovor eigentlich? Unsicherheit und das ständige Bedürfnis nach Harmonie, stehend zwischen Lautsprechern und Megaphonen und so vielen leisen Herzen. Und ich konnte nichts tun als zuzusehen, wie Menschen braune Farbe auf den Canaletto Blick schmierten. Ich stellte mich immer wieder schützend vor die Frauenkirche, vor Busse, vor Menschlichkeit und plötzlich war alles braun und kalt und Hass. So wurde Dresden diesen Anstrich gegeben und seit Jahren waschen wir den ab und ab und ab. Doch ihr hört nicht auf die Farbbeutel zu werfen. Von allen Seiten auf einmal – Ich denke an den Kommentar des Polizeibeamten, der mir empfahl meine politische Meinung online doch einfach nicht mehr kund zu tun und wie ich daraufhin erst recht meine Stimme erhob. Und ich denke an jedes Gespräch, jede Reise, jede neue Chance und frage mich: Was wäre ich ohne all das geworden? Und ich frage ihn:
„Du schreibst also kategorisch die Bevölkerung eines ganzen Bundeslandes ab? Du schreibst Kinder ab, die gerade jetzt noch gar nicht politisch denken können und wollen und müssen und Du stellst sie in eine Ecke, bevor sie sich überhaupt selbst einordnen können? Wir müssen differenzieren, wir müssen zuhören, wir müssen offen bleiben und die Lasten auf unseren Schultern ausgleichen, unbegründete Wut lindern und vor allem acht geben, was gelehrt wird – wie sonst sollen wir etwas ändern? Wie sonst willst Du etwas ändern? Gerade dann, wenn Du alle verhöhnst, die das täglich versuchen?“